초록 열기/닫기 버튼

In der modernen Literatur treten oft Kindsbräute als Objekt der männlichen Begierde auf, leiden am Ende körperlich wie geistig und sterben nicht selten einen frühen Tod. Um nur einige Vertreterinnen zu nennen: Mignon in Wilhelm Meisters Lehrjahre, Effi in Effi Briest, Anna im Grünen. Heinrich.. Die Kindsbraut, auch Kindfrau genannt, ist eine „Synthese aus der unschuldigen Naivität des Kindes und der erotischen Verlockung und Verführbarkeit durch die Braut„. Sie umfasst verschiedene, sogar widersprüchliche Nuancen bzw. Charakterzüge: süß, hübsch, fein, charmant, graziös, wild, ungebändigt usw. Aber es geht hier nicht um die biologischen, anthropologischen Geschlechteridentitäten, sondern um die Projektion der Männerphantasien. Für die Konstitution der ‘Kindsbraut’ ist der männliche Blick von großer Bedeutung. Die Kindsbraut stellt daher ein Phantom des männlichen Begehrens dar, meistens von männlichen, bürgerlichen Autoren beschrieben, mal als feenhaftes Wesen, mal als hexenhaftes. Weil sich die männlichen Begierde aber in Formen der Verdrängung und Verschiebung präsentiert, muss man die Kindsbraut-Motive durch Dechiffrierung bzw. Dekonstruierung erschließen. Sehr aufschlussreich ist es dabei zu beobachten, wie verschiedene Rollen den Kindsbräuten zugeschrieben werden: Ihre Rolle kann zunächst psychoanalytisch betrachtet werden, wie die Männer ihre verlorene Kindlichkeit wiederfinden wollen, wie sie die verfehlten Beziehungen bzw. ihre Angst vor dem anderen Geschlecht kompensieren wollen. Als Verkörperung der Naturmacht, besonders als Fremdes, Anderes, Unberechenbares können sie auch die immer stärker bedrohte Naturwelt repräsentieren, oder sie ersetzen. Im sozialgeschichtlichen Sinne kann die Kindsbraut durch ihren Tod oder Untergang dazu beitragen, die Vernunft und die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft zu wahren. Andererseits kann durch ihren Tod eine Kritik an dem inneren Widerspruch im Prozess der Zivilisation geübt werden. In Storms Werk, der u. a. durch sein ‘Wertha-Erlebnis’ und seine Affäre mit Dorothea auch autobiographisch seine Vorliebe für die ‘Kindsbraut’ gezeigt hat, spielt das Kindsbraut-Motiv in Verbindung mit dem Erinnerungsverfahren eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt wirkt sich die Erinnerung an die (geistig) tote Kindsbraut selbsttherapeutisch aus, wie es in Immensee und Auf dem Staatshof gezeigt wird. Im Verlauf der Erinnerung beobachtet der männliche Erzähler aus seiner bürgerlichen Perspektive die Kindsbräute und rekonstruiert ihre Geschichte, indem er seine eigene Position und seine Weltanschauung verteidigt und in Schutz nimmt. Das Mädchen wird immer als ein passives, willenloses Wesen dargestellt, wirkt aber zugleich bedrohend. Dem Erzähler scheint es immer bewusst zu sein. Als ein Bildungsbürger, der das Künstler-Leben gewählt hat, nimmt er trotz der angeblichen Neutralität immer wieder Abstand von der Welt der Kindsbräute, nämlich der anderen, nichtbürgerlichen. Dadurch ist der Prozess der Identitätsstiftung und der Selbstrechtfertigung vollzogen. Die Novellen spiegeln Storms Befürchtungen hinsichtlich der kulturellen Identität des Bildungsbürgertums.